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NIS2 für Bildungs- und Forschungseinrichtungen: Ein praxisnaher Leitfaden

Einleitung

Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind das Rückgrat von Wissenschaft und Innovation. Doch diese Institutionen sind auch zunehmend bedroht: Cyberkriminelle haben erkannt, wie wertvoll die dort gespeicherten Daten sind – von personenbezogenen Informationen der Studierenden bis hin zu streng vertraulichen Forschungsprojekten.

Die Angriffe der letzten Jahre zeigen das Ausmaß: 2019 wurde die Justus-Liebig-Universität Gießen von einer Ransomware-Attacke getroffen, die Verwaltung und Lehre wochenlang lahmlegte. Anfang 2025 wurde die Universität der Bundeswehr München Opfer eines massiven Datenlecks, bei dem sensible Informationen von Tausenden Studierenden und Mitarbeitenden entwendet wurden.

Mit der neuen NIS2-Richtlinie reagiert die Europäische Union auf diese Entwicklung. Erstmals sind Hochschulen und Forschungseinrichtungen explizit als „wichtige Einrichtungen“ eingestuft. Für die Leitungsebene heißt das: Cybersicherheit ist keine Option mehr, sondern eine gesetzliche Pflicht – und sie wird zur Chefsache.

Was NIS2 bedeutet

Die Richtlinie über die Sicherheit von Netzwerk- und Informationssystemen (NIS2, Directive (EU) 2022/2555) wurde Ende 2022 verabschiedet. Bis Oktober 2024 muss sie in nationales Recht umgesetzt werden, in Deutschland geschieht das durch das NIS2UmsuCG.

Die Kernziele sind klar:

  • Resilienz erhöhen – Bildungseinrichtungen sollen auch unter Angriffen arbeitsfähig bleiben.
  • Einheitliche Mindeststandards – in ganz Europa soll ein vergleichbares Schutzniveau gelten.
  • Bessere Zusammenarbeit – durch klare Meldepflichten und länderübergreifende Kooperation.

Für Hochschulen bedeutet das: IT-Sicherheit darf nicht länger in dezentralen IT-Abteilungen „mitlaufen“, sondern muss strategisch und institutionell verankert werden.

Kernziele

Typische Bedrohungen für Hochschulen

Die Bedrohungslage für den Bildungssektor ist vielfältig – und sie wächst jedes Jahr.

  • Ransomware: Ein einziger Angriff kann Lehr- und Verwaltungssysteme über Wochen lahmlegen.
  • Spionage: 2018 entwendeten iranische Hacker über 30 Terabyte Forschungsdaten von mehr als 300 Universitäten weltweit.
  • Datenlecks: Unsichere Systeme oder unzureichende Zugangskontrollen führen immer wieder zum Abfluss sensibler Informationen.

Diese Beispiele machen deutlich: Hochschulen sind nicht nur zufällige Opfer. Sie sind gezielte Ziele – wegen des hohen Werts ihrer Daten und der oft schwachen Schutzmechanismen.

Typische Bedrohungen für Hochschulen

NIS2-Anforderungen im Detail

Die Richtlinie legt konkrete Anforderungen fest, die Hochschulen umsetzen müssen.

Governance & Verantwortung

Die Leitungsebene ist in der Pflicht. Hochschulräte und Rektorate tragen künftig die Verantwortung für Cybersicherheit. Dazu gehört:

  • die Benennung eines CISO,
  • die Verabschiedung einer Sicherheitsstrategie auf Leitungsebene,
  • die Einrichtung eines Sicherheitsgremiums für zentrale Entscheidungen.

Risikomanagement

Hochschulen müssen regelmäßig prüfen, welchen Gefahren sie ausgesetzt sind:

  • systematische Risikobewertungen und Business-Impact-Analysen,
  • Workshops und Simulationen, um Bedrohungsszenarien durchzuspielen,
  • regelmäßige technische Prüfungen wie Penetrationstests.

Zugangskontrolle (Identity & Access Management)

Eine der größten Schwachstellen liegt im unübersichtlichen Nutzerzugang:

  • zentrales Identitätsmanagement für Studierende, Mitarbeitende und Gäste,
  • Multi-Faktor-Authentifizierung für kritische Systeme,
  • regelmäßige Überprüfung und Entzug nicht mehr benötigter Zugänge.

Netzwerksicherheit & Segmentierung

Die Vernetzung von Verwaltung, Campus und Forschungslaboren macht Segmentierung unverzichtbar:

  • Trennung von Campus-WLAN und Verwaltungsnetz,
  • isolierte Netze für sensible Forschungsbereiche,
  • zusätzliche Schutzschichten wie Firewalls, Intrusion Detection/Prevention Systeme und DDoS-Schutz.

Vorfallsmanagement & Meldepflichten

Cybervorfälle müssen künftig eng getaktet gemeldet werden:

  • erste Meldung innerhalb von 24 Stunden,
  • Detailbericht nach 72 Stunden,
  • Abschlussbericht innerhalb eines Monats.
    Ein funktionierender Incident-Response-Plan mit klaren Zuständigkeiten ist damit unverzichtbar.

Business Continuity

Der Betrieb muss auch im Krisenfall weitergehen. Dazu gehört:

  • Alternativplattformen für E-Learning und Kommunikation,
  • Notfall-E-Mail-Verteiler, die unabhängig vom Uni-Netz funktionieren,
  • belastbare Backup-Strategien für Prüfungs- und Verwaltungsdaten.
Anforderungen

Herausforderungen bei der Umsetzung

Die Umsetzung von NIS2 ist anspruchsvoll, gerade für den Hochschulsektor.

  • Dezentrale Strukturen: Viele Fakultäten betreiben eigene IT-Abteilungen, was einheitliche Standards erschwert.
  • Knappe Budgets: Sicherheitsinvestitionen konkurrieren mit Forschung, Lehre und Infrastruktur.
  • Kulturelle Konflikte: Hochschulen leben von Offenheit und Vertrauen – strikte Sicherheitsmaßnahmen werden oft als Einschränkung wahrgenommen.

Gerade hier ist Kommunikation entscheidend: Sicherheitsmaßnahmen müssen nicht nur technisch umgesetzt, sondern auch kulturell akzeptiert werden.

Best Practices für Hochschulen

Hochschulen, die NIS2 erfolgreich umsetzen wollen, sollten auf drei Hebel setzen:

  1. Dialog & Einbindung
    • Sicherheitsgremien mit Verwaltung, Forschung und IT schaffen.
    • Leitungsorgane regelmäßig einbinden.
  2. Priorisierung & Synergien
    • Kooperationen zwischen Hochschulen oder der Einsatz gemeinsamer Monitoring-Systeme.
    • Outsourcing bestimmter Aufgaben an spezialisierte Dienstleister.
  3. Awareness & Schulung
    • Pflichtschulungen für Mitarbeitende zu Themen wie Phishing oder Passwortsicherheit.
    • Sicherheitsmodule in die Einführungswochen neuer Studierender integrieren
    • Campusweite Awareness-Kampagnen mit Plakaten, Newslettern und praktischen Übungen.

Fazit

Die NIS2-Richtlinie markiert einen Wendepunkt: Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden in die Pflicht genommen, ihre IT-Sicherheit auf ein neues Niveau zu heben. Dabei geht es nicht nur um regulatorische Compliance, sondern um den Schutz von Daten, geistigem Eigentum, Lehre und Forschung.

Empfohlene Schritte:

  1. Die Leitungsebene für ihre neue Verantwortung sensibilisieren.
  2. Eine Bestandsaufnahme der aktuellen Sicherheitslage durchführen.
  3. Eine Roadmap zur NIS2-Compliance entwickeln.
  4. Umsetzung in realistischen Teilprojekten angehen.
  5. Externe Expertise nutzen, wo interne Kapazitäten fehlen.