Die Energieversorgung zählt zu den sensibelsten kritischen Infrastrukturen. Mit der Einführung der NIS-2-Richtlinie kommt es für Energieunternehmen nicht nur zu einer Verstärkung technischer Schutzmaßnahmen, sondern auch zu einem grundlegenden Kulturwandel. IT-Sicherheit wird zu einer zentralen Führungsaufgabe und rückt dauerhaft auf die Agenda der Unternehmensleitung.
Der Energiesektor ist in besonderem Maße verwundbar, da neben digitalen Verwaltungsprozessen auch physische Systeme betroffen sind, deren Ausfall unmittelbare Folgen für Millionen Menschen hätte. Kraftwerke, Pipelines, Umspannwerke und intelligente Stromnetze sind eng miteinander verknüpft. Angriffe können deshalb in Kettenreaktionen münden, die weit über einzelne Unternehmen hinausreichen. Hier geht es nicht allein um wirtschaftliche Verluste, sondern um die Stabilität der Versorgung für die gesamte Bevölkerung.
Die Risiken sind vielfältig: Ransomware kann zentrale Leitstellen lahmlegen, Manipulationen an Steuer- und Messsystemen gefährden die Netzstabilität, und Datenlecks setzen sensible Geschäfts- und Sicherheitsinformationen frei. Angriffe auf Energieunternehmen in Osteuropa haben zudem gezeigt, dass staatlich unterstützte Hacker gezielt kritische Energieinfrastrukturen attackieren, um geopolitischen Druck aufzubauen. Damit wird Energieversorgung nicht nur zu einem ökonomischen, sondern auch zu einem sicherheitspolitischen Faktor.
Die Richtlinie schreibt Energieunternehmen als wesentlichen Einrichtungen die strengsten Pflichten vor. Gefordert sind umfassende Risikomanagementsysteme mit regelmäßigen Analysen, Bewertung der Eintrittswahrscheinlichkeit von Bedrohungen sowie die Entwicklung und Umsetzung geeigneter Schutzmaßnahmen. Diese Pflichten umfassen sowohl technische Komponenten wie Firewalls, Verschlüsselung und Segmentierung von Netzen als auch organisatorische Elemente wie klare Zuständigkeiten, Audits und regelmäßige Berichte an die Leitung.
Von großer Bedeutung ist die Sicherheit der gesamten Lieferkette. Anbieter von Cloud-Diensten, Softwarehersteller oder Produzenten von Steuerungstechnik müssen den gleichen Standards genügen, da Schwachstellen hier unmittelbare Gefahren für die gesamte Infrastruktur darstellen. Die Verantwortung reicht damit weit über das eigene Unternehmen hinaus. Ergänzend schreibt NIS-2 strikte Meldepflichten vor: innerhalb von 24 Stunden nach einem sicherheitsrelevanten Vorfall muss die Aufsicht informiert werden, gefolgt von einem Bericht nach 72 Stunden und einer abschließenden Analyse nach spätestens einem Monat. Außerdem betont die Richtlinie die persönliche Haftung der Führungsebene. Unterlassungen können nicht nur Bußgelder bis zu 10 Millionen Euro oder 2 % des globalen Umsatzes nach sich ziehen, sondern auch individuelle Sanktionen wie Abberufung oder Berufsverbote.
Die nationale Umsetzung erfolgt in Deutschland über die geplante Reform des BSI-Gesetzes (BSIG 2025). Damit verschärfen sich die ohnehin schon bestehenden KRITIS-Pflichten erheblich. NIS-2 führt zu strengeren Melde- und Prüfpflichten und erweitert zugleich die Befugnisse des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Eine zentrale Herausforderung liegt in der Integration der neuen Vorgaben in bestehende Compliance-Systeme. Energieunternehmen unterliegen bereits zahlreichen Regelwerken aus Umwelt- und Kartellrecht. Nun muss Cybersicherheit auf derselben Ebene verankert werden, was erheblichen organisatorischen und finanziellen Mehraufwand bedeutet.
Reine Prävention genügt im Energiesektor nicht. Notwendig ist ein Resilienzansatz, der auch im Fall eines erfolgreichen Angriffs die Aufrechterhaltung der Versorgung ermöglicht. Dazu zählen Notstromaggregate, alternative Steuerungssysteme, manuelle Abläufe und enge Abstimmungen mit Katastrophenschutzbehörden. Angesichts der internationalen Vernetzung von Strom- und Gasnetzen ist außerdem eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit unabdingbar.
Ein zusätzliches Problem besteht in der uneinheitlichen Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten. Energieunternehmen mit europaweiten Tätigkeiten sind mit unterschiedlichen Anforderungen konfrontiert, was Rechtsunsicherheit und hohen Verwaltungsaufwand mit sich bringt. Abhilfe könnte eine stärker koordinierte europäische Aufsicht schaffen, die verbindliche Standards durchsetzt und gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet.